Prolog: Jarn Treibholz

"Höh? Was'n I-Mann, und warum sollt'n Mannschaften an Land seen?"

"Das, mein Junge, erklär ich dir mal, wenn es dir wieder etwas besser geht." sagte Karva lächelnd und stand wieder auf. "Ruh dich noch aus, morgen kannst du sicher wieder aufstehen." zwinkerte sie ihm zu und ging wieder ihrer Arbeit nach.

Die nächsten Tage vergingen ruhig. Jarn hatte Zeit sich wieder weitgehenst von seiner Bauchwunde zu erholen und das Seemannsleben auf einem thorwalschen Schiff kennen zu lernen. Karva kam hin und wieder zu ihm und erzählte ihm einiges über Thorwal, dem Nordmeer und natürlich ihrer Lieblingsbeschäftigung - Iman.
Umgekehrt erkundigte sie sich bei Jarn auch nach dem Südmeer und ihre Bräuche.

Während das Schiff die thorwalsche Küste befuhr, kam Karva wieder zu Jarn, ein kleines Tuchbündel in der einen Hand tragend. "Wir haben Thorwal-Stadt bald erreicht. Wie ich schon sagte, glaube ich nicht, dass du bei uns gut aufgehoben wärst. Aber ich denke, ich weiß wo es dir gefallen könnte."

In den letzten Tagen hatte Jarn ebenfalls versucht an Bord mit anzupacken. Nichtstun war nur für Schwächlinge, und Schwächlinge überlebten im Südmeer nicht. Erst fing er mit arbeiten an die er im Sitzen tätigen konnte. Taue knüppen, Werkzeuge putzen und ähnliches. Dann ging es ans Deckschrubben.

Thorwal klang eigentlich gar nicht so schlecht. Wenn die Erzählungen stimmten müsste er sich dort so wohl wie ein Thunfisch im Heringsschwarm fühlen. Und auch schnell wieder irgendwo anheuern können.

Mit einem dankbaren Nicken nahm er denn genanntes Bündel entgegen und entgegnete in seinen typischem Kauderwelsch:

"Globste, aye? Wo wärn datt?"

"Ein Schiff, dass dir vielleicht nicht ganz so fremd ist. Zumindest nicht vom Schiffstyp her. Sie starten wohl bald eine große Mission in südlicheres Gewässer. Aber behalt das für dich, klar?! Ist ne geheime Mission."
Kaum hatte Karva das Tuchbündel gereicht, hatte es Jarn auch schon an sich genommen. "He, nich so hastig! Ist nichts zu essen." sie grinste amüsiert. "Das habe ich in einer der Truhen vom Kapitän gefunden, lag zwischen einigen anderen Flaggen. Ich hoffe das ist deine Flamon." sie nickte lächelnd und deutete auf das eingeschlagene Bündel in Jarns Händen.

Er schaut begriffsstutzig einige Sekunden auf das Bündel, bevor er langsam den Knoten löste.

Eingeschlagen im Tuch ist eine weiteres schwarzes Tuch, auf welchem ein weißer Totenschädel abgebildet war, der einen Galgen auslachte. Karva legte abwartend den Kopf schief, während Jarn das Packet auspackte.

Wortlos, mit emotionslosem Gesicht wickelte Jarn das komplette Bündel aus und hielt die falon an seinen ausgestreckten Armen vor sich um sie zu betrachten.

Genauso wortlich legte er sich kurz darauf selbige um die Schultern und verknotete zwei Zipfel so, da er einen behelfsmäßigen Umhang hatte. Danach schloß er kurz die Augen und atmete einmal tief ein.

Explosionsartig holte er die verdutzte Karva von den Füssen, wirbelte sie im Kreis herum, drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, ließ sie genauso schnell wie los und sprang auf die Wanten, aus vollem Halse lachend.

"Seht, ihr neckerliebenden Stockschwämme! Efferds Meere ham immanoch ein'n Galgenspötter inner Hinterhand!"

Lachend kletterte er den Mast hoch, die falon hinter sich flatternd und lachte bis ihm die Tränen kamen.

Karva blickte Jarn in der Tat verdattert hinterher, sowie auch der Rest der Mannschaft.
Einige lachten belustigt, andere riefen ihm und Karva, die ja für ihn gesorgt hatte, Spötteleien zu. "He Karva, hast du dem Jungen etwas Premer gegeben?" "Ne, ich denke, er durfte ihre Möpse sehen!" "Das Wohl!"

Karva rollte bei den Sprüchen nur die Augen und blickte warnend zu den Spöttern. "Heda, sei nicht neidisch! Ich weiß, dass du die schon lange sehen willst! Also halt dein Maul, sonst siehst du bald nur noch zwei dicke Fäuste, die dir die Nase brechen!"
Auch diese Warnung wurde begleitet von einigen Lachern, blieb aber unerwidert.
Dann drehte sich Karva wieder Jarn zu, der inzwischen vor Tränen gerührt an der Mastspitze hing. "He Jarn! Kommst du mal wieder runter, bevor dich die Möwen da oben für einen ihresgleichen halten und sich mit dir paaren!" rief sie zur Mastspitze hinauf.