Prolog: Jarn Treibholz

Endlich wendete sich das Blatt und Swafnir schien ein Lächeln für einen kleinen Piraten zu haben. Entschlossen schlich Jarn durch die engen hölzernen Gänge. Die Falon der Galgenspötter würde nicht als Trophäe enden.

Bei der Tür angekommen die wohl am vielversprechendsten aussah, hielt er kurz das Ohr an die selbige um zu lauschen.

Unbemerkt schlich Jarn durch den Gang. Mit dem Ohr an die Holztür gedrückt, konnte er dahinter hastige Schritte im Raum vernehmen. Sonst konnte man aber nichts vernehmen, da der Kampflärm an Deck einfach zu laut war.

Leise versuchte Jarn die Tür einige Zentimeter zu öffnen. Falls das hastige Gewusel hinter der Tür bedeutete eine fliehende Ratte anzutreffen würde selbige sicherlich mit dem packen verschiedener Wertgegenstände beschäftigt sein. Eine gute Gelegenheit um alte Rechnungen zu begleichen.

Seine Rechte packt den Dolch fester, während er mit der Linken die Tür bewegte....

Tatsächlich marschierte ein Mann in einer feinen Seidenkluft, wie es Al'Anfanische Granden trugen, in der Kajüte nervös auf und ab. Der Mann war damit beschäftigt einige Papiere und Samtbeutelchen zusammen zu suchen, welche er alle in einer kleine Geheimnische in der Wand steckte.

Ah, die Stunde der Rache war gekommen. Diese jämmerliche Makrele würde büßen was sie der Galgenspötter angetan hatte.

Mit einem Aufschrei warf sich Jarn durch die Tür in den kleinen Raum und auf den Seide tragenden Gockel, den Dolch mit der Klinge nach unten in der rechten Hand versteckt.

"Freiheit oder Tod!"

Augenblicklich ließ der Kapitän sämtliche Wertgegenstände aus den Händen fallen und zog flink sein Rapier aus dem Gürtel.
"Fahr zu Boron, du dreckige Made!" fluchte der Kapitän zornerfüllt und machte einen flinken Schritt auf Jarn zu, während er das Rapier wie eine Schlange nach vorne schnellen lässt.

Ah, die Miesmuschel wollte sich noch einmal aufbäumen vor ihrem Tod. Sollte sie haben. Jarn war zwar durch das viele Rudern geschwächt, aber Wut und Adrenalin ließen ihn vorwärtsstürmen, seitlich ausfallend um dem Rapierstoß zu entgehen und an den Todfeind heranzukommen. Sollte ihm das gelingen hatte er den umgedrehten Dolch als kleine Überraschung für diesen Bastard.

(Jarn kämpft mit dem Talent "Versteckte Klinge", nutzt also seinen Raufenangriff von 15, weicht im Normalfall Angriffen aus anstatt zu parieren, mit einem Wert von ebenfalls 15. Initiativebasiswert ist 16. Wenn möglich wird er sehr direkt einen Todesstoß ansetzen um den Kampf schnell zu beenden.)

Unbewusst schenkte der Kapitän Jarn ein zufriedenes Grinsen. Seine Finte war geglückt. Sein Gegner wich zu der Seite aus, wohin er auch die Spitze seines Rapiers lenkte. Viel Druck brauchte der Kapitän nicht ausüben, als er die Klinge durch Jarns Bauch trieb.
Voller Genugtuung stieß er Jarn zurück, so dass das Rapier wieder frei war. Schwer verwundet stieß Jarn gegen die Kajütenwand und verlor das Gleichgewicht. Langsam rutschte er die Besinnung verlieren auf den Boden. Bevor alles um ihn herum schwarz wurde, sah er noch den Kapitän, wie er mit blutiger Klinge auf Jarn zuging. Dessen Lippen bewegten sich, doch Jarn verstand kein Wort. Er glaubte noch laute Schritte und Gepolter zu hören, ehe die Dunkelheit ihn einhüllte.

Flügelschlagen und das Krächzen eines Raben war alles was er in der finsteren Dunkelheit vernehmen konnte.
War dies der Ritt auf Golgari, dem Todesboten, der die Seelen der Verstorbenen zu Boron brachte?
Weit entfernt hörte er leise die Stimmen anderer Gefallener, die auf ihn warteten. Dicht bei ihm war weiterhin das Krächzen Golgaris, welches aber ihm unheimlich vertraut vorkam. Beinahe klang es wie Möwengeschrei. Auch das Rauschen des Meeres mischte sich zu den vorhandenen Geräuschen. Abgerundet wurde der Eindruck durch den Geruch des Meeres in seiner Nase.
Das Schaukeln unter ihm ließ ihn glauben, er wäre zurück auf seinem Schiff. Irgendwo an einem ruhigen Fleckchen zwischen den Tauen eingenickt, und alles nur geträumt. Der Untergang seiner Mannschaft, die Sklaverei und das unerbittliche Gefecht – alles nur ein schlechter Traum und jeden Moment würde er vom Kulko geweckt, um seinen Arbeiten nachzugehen.
Es kostete Jarn ungewöhnlich viel Mühe die Augen aufzubekommen. Und tatsächlich wurde er direkt von der Sonne geblendet, die sich just durch ein paar Wolken hindurch schob. Also war er nicht tot, sondern alles war nur ein Hirngespinst. Beim Aufrichten, aber fuhr ihm ein stechender Schmerz durch den Bauch und schmiss ihn wieder zurück auf sein Lager.
Eine Möwe in seiner nähe wurde durch seinen Aufrichtversuch aufgeschreckt, sprang ab und drehte einige Kreise durch die Lüfte. Das Schiff auf dem er sich befand, war eindeutig nicht die Galgenspötter.
Er konnte aus seiner Position nur ein blau-weiß gestreiftes Segel sehen, und an seine Ohren drang das leise Geplauder in thorwalscher Sprache.
Bald schon schob sich das Gesicht einer Thorwalerin in sein Blickfeld. Es war die Nordfrau, die unten in der Sklavenkammer auf ihn gestoßen war. "Bei Swafnir, endlich bist du wach! Ich dachte schon, du wolltest die ganze Überfahrt verschlafen." sagte sie grinsend und legte ihre Hand auf seine Schulter.

Ein Krächzen war das erste was bei einem Sprechversuch herauskam. Ein Hustenkrampf schüttelte den jungen Bukanier durch, dann fragte er heiser nach Wasser. Ein weiterer Versuch sich alleine aufzusetzen schien ihm erstmal unklug, und so blieb er still liegen und versuchte zu ergründen wo, wie und wann er sich gerade aufhielt.

Geistesgegenwärtig setzte die Frau Jarn die Öffnung eines Wasserschlauches an die Lippen und flößte ihm etwas vom kühlen Nass ein.
„Ganz ruhig! Du hast dich sechs Tage kaum bewegt.“ Sagte sie beschwichtigend und legte ihm wieder eine Hand auf die Schulter.
„Beinahe hätten wir dich verloren. Ganz schön übles Loch hat dir diese Ratte da gepiekt.“ grinste die Frau und deutete auf Jarns Taille, die mit einem straffen Verband bandagiert war. Scheinbar wurde der Verband regelmäßig gewechselt, denn dieser war recht frisch und sauber.

Jarn trank, hustete, und trank weiter. Schließlich lies er sich erschöpft zurücksinken und schloß die Augen.

"Die Falon....." sagte er noch schwach bevor er wieder einschlief.

Als Jarn den nächsten Tag erwachte, fühlte er sich bereits ein bißchen besser. Wenn man vom mörderischen Hunger absah. Er konnte sich nun unter Schmerzen etwas aufrichten und sich umsehen.
Das Schiff war tatsächlich eines dieser thorwaler Drachenschiffe. Nordleute saßen an den Ruderplätzen und legten sich in die Riemen, da nur eine schwache Brise an diesem Mittag wehte.
Die "vertraute" Frau, kam nach kurzer Zeit, nachdem Jarn erwachte war wieder zu ihm und hielt ihm etwas Dörrfleisch und Zwieback hin.
"Ich dachte mir, du hast sicher Hunger. Ich tu ja einiges, aber dich füttern musst du selber!" lachte sie und setzte sich neben Jarn.

Mit einem hungrigen Funkeln in den Augen und einem dankbaren Nicken nahm er das gereichte entgegen und versuchte es zu verschlingen. Das ganze endete in einem Hustenanfall, worauf er ungeduldig kleinere Stücke abbiss und länger kaute. Derweil schaute er sich eine Weile neugierig um, was schließlich seinen Blick wieder zu seiner Gönnerin brachte.

"Wenn..", er schluckte schnell herunter, "...wenn Du mir sagst was ich bin, dann sage ich Dir wer ich bin."

"Was du bist?" die Frau runzelte verwundert die Stirn. Während sie zum Wasserschlauch griff und ihn an Jarn weiterreichte, setzte sie wieder zum Sprechen an: "Wie ich das sehe, bist du ein verirrter Bengel, dessen Otta vermutlich von diesem Sklavenschiff aufgerieben wurde, und du dort einige Zeit rudern musstest. Wohl aber nicht lange genug, um deinen Mut und deinen Stolz zu verlieren. Dann hattest du das Glück, dass wir zufällig dieses Schiff entdeckten und diese stinkenden Hurenkinder wieder zurück zu H'Ranngar geschickt hatten. Dummerweise hattest du noch soviel Mut dich auf ein Kampf mit dem Kapitän des Schiffes einzulassen, das auch noch ohne Waffen. Und wieder mal hattest du Glück, dass ich früh genug da war, bevor dir dieser Bastard völlig dein Lichtlein ausgeblasen hat. Und nun liegst du hier, wie eine Krabbe auf dem Rücken und bist wieder unterwegs in die Heimat." sie stupste, für ihre Verhältnisse sanft, gegen Jarns Schulter.
"Soviel dazu, was du bist. Also wer bist du, und wo kommst du her? Ich bin übrigens Karva Vandrasdottir aus Thorwal."

Er nahm den Schlauch dankend entgegen und trank zwischen seinen Happen Fleisch. Als sie fertig war erwiderte er dann, leicht nachdenklich in seinem schnarrenden thorwalsch:

"Ich bin also ein Geretteter. Ich bin kein Sklave und kein Gefangener."

Er nickte, wie um sich selber etwas zu bestätigen.

"Jarn Treibholz. Pirat." Er klang so stolz wie jemand der einen ersten Preis in etwas gewonnen hatte.

"Und ich schulde Dir mein Leben wie es scheint. Zu schade das ich den Kampf mit dem Kapitän so verbockt habe. Ihr habt das Schiff vermutlich Leck schlagen lassen, oder?" fragte er leicht wehmütig.

„Das Wohl, Junge! Haben die Befreiten an Land abgesetzt und dieses verfluchte Sklavenschiff in die Tiefen geschickt.“ Die Frau nickte bekräftigend. „Und da wir eh wieder auf dem Heimweg waren, hab ich gedacht, dass wir dich am Besten mitnehmen.“
„Karva Vandrasdottir.“ Sie nickte ihm verstehend zu. Die Bemerkung über seine Tätigkeit nahm sie scheinbar wie selbstverständlich hin.
„Nicht der Rede wert, Junge. Hattest halt Glück, dass ich schnell genug da war.“ Karva winkte die Tatsache, dass sie Jarn das Leben gerettet hatte wie eine Kleinigkeit ab.
„Und wo genau musst du hin? Du solltest wissen, dass wir direkt Thorwal-Stadt ansteuern. Falls du aber irgendwo unterwegs abgesetzt werden musst, würden wir dich an der Küste raus lassen.“ Sie legte den Kopf schräg und schürzte die Lippen. „Falls du bis dahin wieder auf den Beinen sein solltest.“ Fügte sie skeptisch hinzu.

Er schaute betrübt nach unten.

"Es kann eigentlich egal sein wo ihr mich absetzt. Mein kulko und meine Brüder und Schwestern sin' tot und die falon ist zusamm' mit dem Sklavenschiff in H'rangars Schlund eingezogen. Ich muss anscheinend wieder von vorn anfang'."

"Kulko? Falon? Wovon faselst du da mein Junge?" Karva runzelte verwundert die Stirn. Scheinbar verstand sie die Begriffe nicht.

"Der Kulko is' derjenige der das Schiff anführt. Und Falon is' unser Wort für Flagge. Sie war schwarz, mit ei'm Totenschädel der ein'n Galgen auslachte."

Jarn schaute betrübt auf die Wanten und schien in Erinnerungen zu schwelgen.

Karva runzelte erneut die Stirn, nickte aber schließlich verstehend.
"Hrm, woher kommste, Junge? Dein Akzent ist mir völlig unbekannt. Aus Bilku?" erkundigte sie sich.

"Bin'n Bukanier. Hab anner Küste gewohnt un' bin nach Zeuchs getaucht, bevor ich Pirat wurde. Guter Tausch. Guter Tausch das. Man kommt viel rum un' hat trotzdem immer das Meer zur Heimat."

Er schaut kurz nachdenklich zum Himmel und fragt dann...

"Ihr seid nich zufällig Piraten, oder?" Der Tonfall leicht hoffnungsvoll.

"Achso. Kommst vom Südmeer!" Karva nickte nun wirklich verstehend, als der Kreuzer auch bei ihr gefallen war. "Und ich dachte, du wärst ein richtiger Thorwaler!"
Sie schlug ihm belustigt auf die Schulter, und berücksichtigte dabei seine Verwundung nicht. "Hin und wieder sind wir das. Eigentlich waren wir im Südmeer auf ein paar horasische Schiffe aus, aber wenn einem eine al'anfanische Galeere vorm Bug kommt, kann man ja nicht einfach abdrehen."
Sie musterte ihn erneut und zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Hätte ich gewusst, dass du von da unten kommst, hätten wir dich mit den anderen befreiten Sklaven im kleinen Küstendorf rausgelassen. Ich dachte, du kämst aus Thorwal, darum haben wir dich mitgenommen."

Jarn zuckte mit den Schultern.

"'s macht keen Unterschied, solang' ich Salzwasser um mich hab. Brauchter n'n guten Schwimmer an Bord?"

Wechselte er das Thema zurück um seinen Faden wieder aufzunehmen.

Karva musterte Jarn skeptisch, und rieb sich nachdenklich das Kinn. "Eher weniger. Weißt du, eigentlich sind wir hauptsächlich eine Iman-Mannschaft, und daher öfter an Land, als dir vielleicht lieb ist."