Prolog: Helena Sennadottir

Thorwal, die Stadt der Freien – seit dem horasischen Brandbeschuss am Anfang des Jahres hatte die Stadt etwas an Glanz verloren.
Es gab keine Straße, in der nicht die verkohlten Überreste einiger Häuser lagen, die dem Beschuss zum Opfer gefallen waren. Trauer und Zorn beherrschten die Nordleute aufgrund des Verlustes von Heim oder Angehörigen. Nicht wenige hatten sogar beides verloren.
Doch war es auch die Zeit des Wiederaufbaus und des Zusammenhaltes…zumindest sollte es so sein. Obgleich man aber der Idee Trondes ,Thorwal zu einem Staat zu vereinen, begrüßte oder nicht, so hatte man eines gemeinsam – die Schmach und den Schmerz des vergangenen Jahres brannte so zäh auf jedermanns Seele wie das Hylialer Feuer die Stadt verzerte.
In der Nähe der Hafenanlage, wo vor wenigen Monaten noch zahlreiche Kohleruinen standen, wurde der Schutt geräumt und der Baustelle für einen neuen Swafnir-Tempel Platz gemacht. Allein die Baustelle wirkte so groß und imposant, dass man sich kaum ausmalen konnte, wie wohl der fertige Tempel beeindrucken würde.

Der Swafnir-Diar und zukünftiger Vorsteher des Tempels Ôle Swafgardson kam die Straße hinauf und blickte sich in der Baustelle um. Sein Blick tastete die Umgebung nach Helena Sennadottir ab, welche heute mit der Unterstützung des Wiederaufbaus beauftragt war.

Helena wischte sich über die schweißbedeckte Stirn. Heute sollten die letzten Karren voll Schutt fortgebracht werden.
Sie nahm einen Schluck aus Ihrem Wasserschlauch, legte diesen beiseite, packte den nächsten Stein und hob ihn auf den bereitstehenden Karren.
Seite an Seite mit anderen Freiwilligen, Geweihten und angeworbenen Helfern räumte sie nun schon seit dem Aufgang der Praiosscheibe den Schutt beiseite.
Und dies schon seit Wochen. Doch Morgen endlich wollten Sie mit dem Wideraufbau beginnen. Ihr Herz stieg in die Höhe bei dem Gedanken an den neuen Tempel. Perfekt würde er werden, in tiefem Blau wie die Wogen Efferds, geschmückt mit Delphinen und anderen Meereswesen. Jede Kleinigkeit hatte sie bereits vor Augen.

Endlich hatte sie Ôle gefunden und ging über die Trümmer hinweg auf Helena zu.
"Helena!" rief er schon von weitem. "Heda, Einauge!" er grinste dreist und winkte zu ihr hinüber.

Helena schaute auf, wer hatte da nach ihr gerufen? Die Stimme kam ihr bekannt vor. Ihre Augen wanderten über die Baustelle.
Ah, dort hinten am Eingang, Ôle Swafgardson, der neue Vorsteher des Tempels kam auf sie zu und winkte sie herüber.
Wieder einmal hatte er sie Einauge genannt, wie sie das hasste. Aber er konnte wohl nicht anders, so hatte er sie schon seit sie sich kannten genannt. So war er eben, und sie konnte ihm auch nie wirklich böse sein. Dazu mochte sie ihn zu sehr.
Sie wandte sich kurz zu den anderen Arbeitern um und meinte: "Ich komme gleich wieder. Den Karren hier könnt ihr schonmal wegbringen. Danach macht kurz Pause."
Damit drehte sie sich wieder in Ôles Richtung und ging ebenfalls auf ihn zu: "Bei Swafnir, was gibts denn so dringendes das die Arbeit am Tempel aufzuhalten vermag?"

Ôle drückte ihr kräftig die Hand, als er bei Helena angekommen war. "Nichts, darum werden die Arbeiten auch ohne dich weitergehen. Ich übernehme heute den Rest der Aufsicht. Auf dich wartet eine dringendere Aufgabe." er krempelte schon während seiner Erzählung die Ärmel hoch und legte seinen Umhang ab, um sofort mit der Arbeit beginnen zu können.
"Asleif Lindolm, ebenfalls Swafnir-Diar, wartet bei unseren Ersatzunterkünften auf dich. Er will sich mit dir unterhalten."

Helena erwiederte den kräftigen Händedruck. Neugierig fragte Helena: "Weißt du worum es dabei geht?"

Ôle wiegte den Kopf hin und her, zuckte letztendlich die Schultern. "Naja, in etwa. Aber es ist nichts, was er dir nicht selber sagen kann." er zwinkerte Helena keck zu, und machte sich daran etwas Schutt auf einen Karren zu Laden. "Und blamier mich nicht, ich habe dich empfohlen!" rief er Helena noch hinterher, lachte aber dabei deutlich.

Helena suchte ihre Sachen zusammen und meinte zu Ôle: "So verschlossen wie immer der Herr Geweihte. Naja ich werds schon selber rausfinden."
Mit diesen Worten machte Sie sich auf den Weg zu den Unterkünften. Auf Ôles letzten Ausruf erwiederte sie: " 'Wir werden sehen, mal schaun was du mich gelehrt hast! Und blamier du mich nicht bei der Arbeit!"
Damit zog sie lachend von Dannen.
Eine neue Aufgabe erwartete sie. Sie musste wichtig sein, wenn man sie deshalb von der Arbeit abzog. Der Wiederaufbau des Tempels hatte normalerweise vorrang vor allen alltäglichen Arbeiten. Neugierig beschleunigte sie ihre Schritte. Was man ihr wohl zutraute?

Langsam ging Asleif in der Halla der Sturmkinder auf und ab. Alle Geweihten, die seit dem Abbrennen des Swafnirs-Tempels hier untergekommen waren, waren ausgeflogen, um verschiedene Arbeiten zu erledigen. Also konnte der fast zwei Schritt große Thorwaler nichts anderes tun, als geduldig auf die Frau zu warten, die ihm empfohlen wurde.
Gelangweilt nahm er einen töpfernen Krug von einem Balken und betrachtete ihn. Es musste wohl ein teures Kunstwerk aus dem Süden sein, dass man von einer Beutefahrt mitgebracht hatte.
Er seufzte gelangweilt und stellte den Tonkrug wieder zurück, dabei hatte er den Balken nicht sauber getroffen und der Krug fiel klirrend zu Boden.

Also Helena durch den Eingang der Unterkünfte trag zuckte sie unwillkürlich zusammen, ein lautes Klirren ging durch den Raum.
Sie schaute sich um woher das Geräusch kam und erblickte den hochgewachsenen Thorwaler, der ein Gefäß heruntergeschmissen hatte.
Helena blickte sich im Raum um, erblickte keine weiteren Personen und trat auf den Mann zu.
"Entschuldigt, ich hoffe ich habe euch nicht gestört. Seit ihr Asleif Lindolm? Mein Name ist Helena Sennadottier, Ôle Swafgardson hat mich hierhergeschickt. Ich sollte mich hier melden."
Währenddessen versuchte sie zu ergründen, was das verstörte Gefäß einmal gewesen war und sie beugte sich nach unten um die Splitter aufzusammeln: "Lasst mich euch helfen."

Der Hüne wäre beinahe mit Helena zusammen gestoßen, als er sich ebenfalls nach den Scherben bückte. „Ja, das bin ich. Swafnir zum Gruße.“
Asleif hatte ein entschuldigendes Lächeln auf den Zügen, als er sich wieder mit einigen Scherben in der Hand aufrichtete. „Tut mir Leid, das mit dem Krug. Ich ersetze ihn natürlich selbstredend.“ Mit einem verlegenen Räuspern stellte er die Scherben auf dem Balken ab, um Helena nun die freie Hand zu reichen. „Freut mich dich kennen zu lernen!“

"Mich freut es auch eure Bekanntschaft zu machen. Mit dem Krug wird schon nicht so schlimm sein, eine kleine Spende an den neuen Tempel und Swafnir wird euch sicherlich seine Gunst gewähren." Helena hob den Rest der Scherben auf und legte sie auf einen Tisch. Der erste Eindruck von Swafnir-Diar Asleif Lindolm war schonmal gut. Aber bei allen Zwölfen, was war denn nun die Aufgabe für die sie auserkoren war. Neugierig fragt sie: "Doch nun lasst mich doch wissen wofür ihr mich hierhergerufen habt?"
Erst jetzt wurde Helena klar, wie unhöflich sie war: " Entschuldigt meine Neugier, wollen wir uns erstmal setzen? Kann ich euch etwas zu trinken oder ein wenig Brot mit Käse und anderen Kleinigkeiten anbieten?" Helena wieß auf den Tisch mit den Stühlen.

"Das wohl! Ich werde es mir nicht nehmen lassen, den neuen Tempel zu beäugeln. Er soll ja eine wahre Pracht werden, habe ich gehört." Asleif nickte zustimmend, stutzte aber kurz später die Stirn.
"Drückt man sich in der Stadt grundsätzlich so hochtrabend aus? Ich muss gestehen, dass mir das Ihrzen und so nicht steht."
Dann setzte er sich auf einen der Stühle und winkte dankend ab. "Ne, lass mal. Hab keinen Hunger. Aber etwas zu Trinken wäre nicht schlecht. Dann kommen wir auch gleich zum Thema, weswegen wir beide hier sind."

"Gerne, bin gleich wieder da" damit machte sich Helena auf den Weg um zwei Becher und einen Krug mit Bier zu holen. Kurze Zeit später betrat sie wieder den Raum, stellte die Sachen auf den Tisch und setzte sich dazu.
"So, dann würd ich mal sagen wir stoßen erstmal an." Sie schenkte ein, hob ihren Becher und prostete ihm zu:"Auf Swafnir!" Sie trank einen guten Schluck und stellte den Becher wieder ab.
Ein Schmunzeln ging über Helenas Gesicht: "Gut, auch du bevorzugst die direkte Sprache, dann werden wir dabei bleiben. Manche Geweihte bestehen darauf deshalb bin ich am Anfang lieber alzu höflich, aber unter uns, das liegt mir auch nicht." Damit nahm sie noch eine Schluck. "Wo wir dann schonmal bei der offenen Sprache sind, was in Swafnirs Namen treibt dich denn hierher was du so dringend zu klären hast. Ich unterbreche ungern die Arbeit am Tempel auch wenn ich durch Ôle ersetzt worden bin. Der Tempel muss schnellstmöglich wieder aufgebaut werden. So eine Pracht muss die Stadt wieder zieren." Helena schaute Asleif erwartungsvoll an.

"Auf Swafnir!" bestätigte Asleif den Trinkspruch nickend und nahm einen teifen Zug.
"Keine Sorge. Die Unterbrechung wird sich lohnen, das versprech ich dir." er zwinkerte Helena vielsagend zu und nippte nochmal am Bier.
"Aber bevor ich dir mehr verrate, brauche ich deine Zusage, dass du teilnimmst. Soviel sei dir schon verraten - es wird eine Flotte gegen die Horasier zusammengezogen, die von der Tochter des obersten Hetmannes angeführt wird. Wir brauchen darum noch kampffähige treue Thorwaler."
Er betrachtete Helena abwartend und nippte dabei nochmals am Bier.

Helena setzte das Bier heftig auf dem Tisch ab, so dass es überschwappte. "So wichtig der Wiederaufbau des Tempels auch ist, die Rache an den verdammten Horasiern geht vor. Das Wohl, da bin ich dabei. Erzählt mir mehr. Die Hunde müssen bezahlen." Nun sah Helena Asleif nicht nur mit Neugier an, sondern in ihren Augen loderte der Hass und der Trieb den elenden Horasiern den Kopf von den vermaledeiten Schultern zu schlagen. "Wann brechen wir auf?"

"Richtig so! Diese elenden Schweineficker sollen bluten dafür! Das wohl! Bei Swafnir! Ihre elenden Gedärme sollen ihnen beim Scheißen verfaulen!" stimmte Asleif nickend zu, während ein entschlossenes Funkeln in seinen Augen glomm. "Sobald wie möglich, in zwei Tagen legen wir mit der Seespinne ab und schließen uns dann der Flotte an."
Er schnappte sich den Bierkrug und trank den Rest in einer schwungvollen Geste aus und stellte ihn ruppig wieder auf den Tisch.
"Viel mehr kann ich dir nicht verraten, da ich nicht mehr weiß. Viel verdammte Heimlichtuerei, das kann ich dir sagen."

"Hört, hört, die Thorwaler verstricken sich in Heimlichkeit. Dann muss es wahrlich wichtig sein. Wo soll ich mich in zwei Tagen einfinden? An welchem Pier liegt die Seespinne?" Helenas Kampflust war geschürt. Sie konnte es kaum erwarten den Horasiern den Gar aus zu machen. "Ich werd dann noch meine Sachen regeln, da sollten zwei Tage reichen. Muss ich mich um einen Ersatz für mich auf der Baustelle kümmern, oder ist das bereits geregelt? Wird Ôle Swafgardson meine Aufgaben übernehmen?" In Gedanken ging Helena schon alles durch. Sie würde sich bei Ihrer Mutter und Ihren Freunden verabschieden, noch einige Dinge besorgen und dann könnte es endlich wieder losgehen. In Swafnirs Namen in See stechen. Schon viel zu lange war sie nicht mehr auf dem Meer gewesen. Welche ein Wink des Schicksals das Ôle gerade sie vorgeschlagen hatte. Und dann noch gegen die Horasier in den Krieg ziehen. Mit einer ganzen Flotte Rache üben. Ein Hochgefühl überkam Helena und sie trank den Rest des Bieres aus und goss sich direkt ein neues nach. Heute war mal wieder ein Tag um dem Alkohol in vollen Zügen zuzusprechen. War sie erst an Bord musste sie einen klaren Kopf behalten, das hieß nur zwei, drei Bier...

"Da Ôle der neue Vorsteher des Tempels wird, wird er sich schon um deine Aufgaben kümmern." antwortete der Hüne schulterzuckend. "Die Seespinne liegt im Winterhafen, wirst du da schon finden."
Asleif schenkte sich dann selber noch einen ein, zerbrach aber beim Abstellen ungeschickt den Krug. Knurrend sammelte er wieder die Scherben zusammen, die sich über die Tischplatte verteilt hatten.
Dann stand er bald auf und nickte Helena zum Abschied zu. "Ich muss nun wieder los. Entschuldige nochmal wegen der Sachen, die zu Bruch gegangen sind."

Über Helenas Lippen zog sich ein Grinsen. "Ich werde die Scherben entsorgen. Lass sie einfach liegen."
Sie nahm noch einen guten Schluck aus dem Krug. "Ich hab auch noch was zu erledigen. Möge Swafnir mit dir sein!"
Helena nahm ihm die Scherben ab und und ging Richtung Vorratskammer da fiel ihr noch etwas ein. Sie drehte sich nochmals zu Asleif um und fragte: "Kommt du eigentlich mit?"

Asleif stand bereits an der Tür, als er sich zu Helena umdrehte. "Bei Swafnir, denkst du ich lass mri die Gelegenheit nehmen diesen Puderquasten die dürren Hälse umzudrehen?" grinsend und zwinkernd verließ er das Langhaus der Sturmkinder.